22.01.2020

Auf den Punkt gebracht

Auf den Punkt gebracht

Ein roter Punkt auf dem Eis, mit einem Radius von 60 Zentimeter. Gleich neunmal ist er auf einem Eishockeyspielfeld zu finden. Fünf in der neutralen Zone, je zwei in den Angriffsdritteln. Fünf der Punkte haben einen farbigen Kreis mit einem Radius von 4,50 Meter um sich, vier davon sind zudem vom sogenannten „Doppel L“ umgeben.

Die Rede ist von den Bullypunkten. Während beim Fuß- oder Handball Anspiele fair aufgeteilt zu Beginn einer jeder Halbzeit oder nur nach Toren stattfinden, wird das Spiel beim Eishockey nach jeder einzelnen Unterbrechung mit einem Bully fortgesetzt. In den sechs Partien im Januar stellten sich die Adler insgesamt 320 Mal zum Faceoff auf – im Schnitt 53 Mal pro Begegnung. „Bullys sind ungemein wichtig. Schließlich wird hier entschieden, ob du Scheibenbesitz hast oder nicht. Gewinnst du das Anspiel, diktierst du das Spielgeschehen“, erklärt Adler-Co-Trainer Mike Pellegrims. Mit Blick auf die Special Teams wächst die Bedeutung gleichzeitig um ein Vielfaches: „Wenn du in Unterzahl das Anspiel gewinnst, kannst du schnell klären und Zeit von der Uhr nehmen. In Überzahl willst du dagegen in der Zone bleiben und direkt deine Formation aufbauen.“

Das Anspielprozedere an sich gleicht derweil dem des Snaps beim Football. Zunächst berät sich der Mittelstürmer einer jeder Reihe, der im Normalfall auch das Anspiel ausführt, mit seinen Kollegen über die taktische Vorgehensweise. „Dabei geht es um die Lauf- und Passwege bei einem Bullygewinn“, so Adler-Center Ben Smith. „Wenn wir verlieren, weiß ohnehin jeder, was er zu tun hat.“ Smith gehört zu den erfolgreichsten Bullyspielern der Liga. Überhaupt verfügen die Adler aktuell mit 53,27 Prozent gewonnener Anspiele ligaweit über die beste Bullyquote. Im Anschluss nehmen die Spieler ihre Positionen (halb)rund um den Punkt ein. Dabei spielt nicht zuletzt auch die Aufstellung des Gegners und der Ort des Bullys eine Rolle. „Es gibt zwar Mannschaften, die immer dieselbe Variante spielen. Wir haben aber für die verschiedenen Zonen und Situationen unterschiedliche Vorgaben“, will Pellegrims sich jedoch nicht weiter in die Karten schauen lassen.  

Kraft, Timing oder Schnelligkeit

Schließlich gibt der Linienrichter den Puck per Einwurf wieder frei. „Direkt zuvor versuche ich meinen Gegenspieler noch zu lesen. Wie hat er seine Hände, wie seinen Schläger, wie positioniert er sich und wo setzt er die Kelle auf. Diese Dinge verraten mir, was er vorhat“, ist Smith Sekunden vor dem Anspiel hochkonzentriert. Um das Bully für sich zu entscheiden, verfolgen die Spieler unterschiedliche Ansätze. „Manche versuchen es mit Kraft, andere über Timing und Schnelligkeit. Jeder hat so seine eigene Taktik. Manchmal kann man sich von anderen etwas Abschauen und natürlich kann man Bullys auch im Training üben. Am Ende ist es aber vor allem die Erfahrung, die weiterhilft“, profitiert Routinier Smith von seinen bislang rund 5.500 Profi-Anspielen.

Ein roter Punkt auf dem Eis, mit einem Radius von 60 Zentimeter. Im Schnitt steht er pro Partie mehr als 50 Mal im Fokus. Die insgesamt zehn Feldspieler positionieren sich taktisch drumherum, denn anders als im Fuß- oder Handball wird im Eishockey um jedes Anspiel hart gekämpft. Im Angriffsdrittel, in der neutralen Zone und vor dem eigenen Tor – aber stets an einem der neun Bullypunkte.