15.01.2019

Der harte Weg zurück

Der harte Weg zurück

In der Sekunde zuvor noch lautes Klatschen und Singen, ist es das Bild, das mit einem Schlag für Ruhe in Eishockeystadien weltweit sorgt. Ein Bild, das niemand gerne sieht. Ein Bild aber, das zum Eishockey, das allgemein zum Sport dazugehört: Nach einem Check, einem Bandeneinschlag oder einem Pucktreffer bleibt ein Spieler offensichtlich verletzt auf dem Eis liegen. Manchmal ist Blut im Spiel, manchmal kann der Spieler nur gestützt auf Kollegen und Ärzten oder gar auf einer Trage die Spielfläche verlassen. Nicht immer kehren die Spieler auf die Bank zurück.

Verletzungen kennen auch die Adler Mannheim zur Genüge. Mit Marcel Goc, Matthias Plachta, Joonas Lehtivuori, Moritz Seider, Nico Krämmer, Cody Lampl, Brent Raedeke und David Wolf waren in der ersten Saisonhälfte der DEL-Hauptrunde 2018/19 schon diverse Spieler für längere Zeit im Verletztenstand. Doch wer bisher der Meinung war, eine Läsion sei eine Art Freifahrtschein, befreie von körperlichen Ertüchtigungen jeder Art, der irrt. Gewaltig sogar. Denn wer nach Bruch, Riss, Quetschung, Zerrung und Co. wieder am Spielbetrieb teilnehmen will, hat einen harten Weg vor sich.

Für diesen Weg kooperieren die Adler mit dem Fußballbundesligisten TSG 1899 Hoffenheim. Im Trainingszentrum in Zuzenhausen wird für ein schnelles Comeback geschwitzt, werden Gewichte bewegt und Schmerzen ertragen. Ein Team von zwei Sportwissenschaftlern und bis zu zehn Physiotherapeuten kümmert sich verantwortungsvoll um eine rasche Genesung. „Man kann sich unsere Einrichtung ein bisschen wie ein Fitnessstudio vorstellen, allerdings mit weniger Geräten. Wir setzen stark auf eine freie, dreidimensionale Bewegung im Raum“, erklärt Bernd Steinhoff, Sporttherapeut der TSG, dass teilweise komplexe Stabilitäts- sowie Mobilitätsübungen mit dem eigenen Gewicht elementaren Stellenwert im Rehaprogramm einnehmen.

Nicht nur auf Stippvisite

So treffen wir bei unserem Besuch Mitte Dezember Marcel Goc im Vierfüßlerstand auf einer blauen Gymnastikmatte an. Mit schwungvollen, seitlichen Armbewegungen bereitet der 35-Jährige seinen Oberkörper auf die anstehende Athletikeinheit vor. „Ein Rehatag ist immer in zwei Phasen aufgeteilt. In ein rund dreistündiges Workout sowie eine einstündige Behandlung, und das von Montag bis Freitag“, macht Steinhoff klar, dass es nicht mit einer wöchentlichen Stippvisite getan ist. In der Zwischenzeit ist Goc zur nächsten Übung übergegangen. Die Schultern liegen auf dem Boden, die Hüfte ist in die Höhe gestreckt, dazu werden abwechselnd die Beine in Richtung Kopf gehoben. „Unser Körper denkt nicht in einzelnen Muskelgruppen, sondern in Bewegungsmustern. Daher arbeiten wir gerne mit PNF-Übungen“, so Steinhoff. PNF ist die Abkürzung für Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation, eine physiotherapeutische Behandlungsmethode.

Mit jeder Übung steigt offensichtlich der Schwierigkeitsgrad. Denn die Gesichtszüge von Goc wirken inzwischen doch etwas verkrampfter. Ein Zirkel komplettiert an diesem Tag sein Workoutprogramm. Dieser hat es nochmals in sich. Ein 75-Kilo-Schlitten will quer über den Kunstrasen gezogen, ein Sieben-Kilo-Medizinball an die Wand und auf eine Turnmatte geworfen und die Battle Ropes wollen geschwungen werden. Das alles auf Zeit und über mehrere Runden. „Mit diesem Zirkel bringe ich Marcel an seine Ausdauer- und Belastungsgrenzen. Das ist nicht unwichtig. Zwar geht es bei uns in erster Linie darum, die durch die Verletzung geschädigte Struktur zu rehabilitieren. Wenn wir den Fokus aber ausschließlich darauf legen, entstehen in allen anderen Bereichen zu große Defizite“, erläutert Steinhoff, warum ein ganzheitlicher Trainingsansatz verfolgt wird, und ergänzt: „Gleichzeitig versuchen wir im selben Atemzug Beeinträchtigungen von früheren Verletzungen oder anderweitige Dysbalancen auszugleichen.“

Geduld gefragt

Nicht nur in diesem Zusammenhang ist es von Vorteil, dass sich das Reha-Team mit den Physiotherapeuten und Athletiktrainern der Adler regelmäßig austauscht. „Wir fragen nach einer Verletzungsmeldung sofort nach, was genau passiert ist, welche Vorkommnisse es in den Wochen vor der Verletzung gab. Danach und daran, wie der Körper beziehungsweise die verletzte Struktur auf vorherige Reize reagiert, richten wir den Trainingsplan aus“, nennt Steinhoff die Faktoren, die entscheidend für die Gestaltung und das Steigerungsintervall der einzelnen Einheiten sind.

Allen Protagonisten brennt im Verlauf der Reha schließlich früher oder später diese eine Frage auf den Nägeln: Wann gelingt das Comeback? Die Zeitpunktbestimmung für eine Rückkehr ist aber immer ein Spagat, denn es gilt gleich drei Parteien zu berücksichtigen. Zum einen den Spieler selbst, der natürlich lieber heute als morgen wieder aufs Eis zurückkehren möchte. Ähnlich verhält es sich beim Trainer, der verständlicherweise nur ungern auf einen Schützling verzichtet. Schnürt ein Spieler allerdings zu früh die Schlittschuhe, kann das einige zusätzliche Wochen kosten. „Manchmal müssen wir einfach bremsen. Auch schon in den einzelnen Einheiten. Schließlich sind auch regenerative Maßnahmen wichtig, und ein verletzter Knochen wie beispielsweise bei Marcel braucht einfach eine gewisse Heildauer“, muss Steinhoff hin und wieder den Spielverderber spielen.

Letzte Tests

Bevor der 38-Jährige ebenfalls den Daumen emporstreckt, muss der Patient eine Reihe von Tests bestehen. „Dazu gehören vor allem Sprung- und Oberkörpertests. Bei Sprüngen interessieren uns die Weiten im Rechts-links-Vergleich. Ist die Diskrepanz der Werte akzeptabel, gibt es von uns grünes Licht.“ Zu einer schnellen Genesung trägt übrigens auch eine ausgewogene Ernährung bei. Viel Gemüse, Kräuter, Fisch und Obst helfen. Dazu genügend Wasser und mindestens neun Stunden Schlaf.

Es ist ein Bild, das mit einem Schlag für Ruhe sorgt, das Bild, das niemand gerne sieht. Da Verletzungen aber zum Sport dazugehören, muss man diesem Thema eben pragmatisch gegenüberstehen und das Beste daraus machen. In Zuzenhausen passiert genau das. Tag für Tag, Von 08:00 Uhr morgens bis 20:00 Uhr am Abend.